Monddistanz
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Basiswissen
Als Monddistanz bezeichnet man eine Methode zur Bestimmung des Längengrades alleine mit Hilfe von astronomischen Himmelsbeobachtungen. Dazu benötigte man einen Sextanten sowie Bücher mit Tabellen zu Positionen gut erkennbarer Himmelskörper für jeden einzelnen Tag einer Reise.
Historischer Hintergrund
Seefahrer hatten bei ihren Fahrten über das offene Meer oder auch in Nähe von Küsten oft das Problem einer genauen Bestimmung ihrer gegenwärtigen Position. Landmarken wie Berge oder Häuser konnten sich ändern oder waren oft nicht sichtbar. Schon früh erkannten Astronomen, dass die Höhe des Polarsternes über dem Horizont angibt, wie weit im Norden oder Süden man sich befindet, also auf welcher geographischen Breite. Mit der Verbesserung der Messinstrumente (Quadrant, Sextant) konnte die geographische Breite damit immer besser bestimmt werden. Eine solch einfache Methode gab es für die Bestimmung der geographischen Länge (wie weit östlich oder westlich man ist) aber nicht. Im Jahr 1499 soll der Kartograph Amerigo Vespucci die Methode der Monddistanz in Venezuela angewandt haben[30], um damit seinen Längengrad zu bestimmen. Ganz sicher beschrieben wurde Idee, die ständige Änderung der Position des Mondes am Himmel zur Bestimmung der geographischen Länge zu benutzen im Jahr 1514 von dem Nürnberger Universalgelehrten Johannes Werner[19]. Aber erst mehr als 200 Jahre später waren ausreichend gute Messinstrumente verfügbar und auch erst dann konnte man die genauen Positionen des Mondes ausreichend lange und ausreichend genau im voraus berechnen. Ihre Blütezeit in der Navigation hatte die Methode der Monddistanz dann im 18ten und frühen 19ten Jahrhundert. Eine ähnliche Methode nutzt die Positionen der Monde des Jupiter. Abgelöst wurde diese beiden astronomischen Methoden erst durch die weite Verbreitung von genauen Uhren, den Chronometern, mit deren Hilfe man die geographische Länge sehr viel bequemer bestimmen konnte[28].
Grundidee der Methode der Monddistanz
Wie die Sonne und die Planeten wandert der Mond auf einer fast kreisförmigen Bahn über den Himmel. Diese Bahn nennt man die Ekliptik. Pro Tag wandert der Mond gut 13,18° weiter auf der Ekliptik. Damit vollendet er in den 27,321 Tagen eines Monats eine ganze Kreisbewegung von 360°. In einer Stunde wandert der Mond deshalb rund 0,5° weiter. Diese 0,5° pro Stunde sind ungefähr die eigene Größe des Vollmondes als Winkel gemessen[20]. Das kann man schon sehr gut mit dem Auge wahrnehmen. Damit hat der Mond zu jedem Zeitpunkt eine genaue Position am Sternenhimmel. Kennt man nun im Umkehrschluss die genaue Position des Mondes am Himmel, kann man daraus den genauen Zeitpunkt der Beobachtung ermitteln. Dieser Zeitpunkt ist für alle Orte auf der Erde derselbe. Damit kann man bestimmen, wie viel Uhr es gerade am Nullmeridian (heute durch Greenwich bei London) ist. Und kennt man die Uhrzeit am Nullmeridian und vergleicht diese mit der eigenen Uhrzeit am jeweiligen Ort, kann man daraus seine eigene geographische Länge bestimmen[21].
Die nautischen Jahrbücher als Zuordnung
Um die Methode benutzen zu können, mussten die Seefahrer Tabellen mit genauen Zuordnungen von Mondpositionen zu Uhrzeiten lange im voraus dabei haben. Seereisen im 18ten Jahrhundert dauerten oft Jahre (etwa die Pazifik-Expedition von Cook). Die Berechnung der Mondpositionen für bestimmte Tage ist mathematisch sehr schwierig und konnte von Seeleuten nicht durchgeführt werden. Wissenschaftler fertigten deshalb sogenannte nautische Jahrbücher an, in denen sie die berechneten Mondpositionen in Tabellen darstellten[4]. Aus mathematischer Sicht waren diese Tabellen Zuordnungen[22]. Obwohl die Grundidee der Methode der Monddistanz bereits im Jahr 1514 formulierte worden war[19], konnte man erst im frühen 18ten Jahrhundert die Mondpositionen ausreichend lange im voraus und ausreichend genau berechnen. Erst die von Isaac Newton entwickelte Mechanik[23] sowie geeignete mathematische Verfahren (etwa von Euler) machten das möglich.
Die Messung der Monddistanz
Das Wort Monddistanz bezieht sich auf den Abstand des Mondes zu irgendeinem anderen Himmelskörper. Der andere Himmelskörper kann ein Stern nahe der Ekliptik sein (zum Beispiel Regulus im Sternbild Löwen)[24] oder auch die Sonne. Der Winkelabstand muss sehr genau gemessen werden[25], was erst mit guten Sextanten möglich wurde. Nun benötigt man für die Methode nicht irgendeinen Punkt auf der Mondscheibe sondern den Mondmittelpunkt. Diesen kann man aber nur schwer exakt bestimmen. Stattdessen hat man die leicht erkennbare kreisförmige Randlinie an der Außenseite der Mondscheibe gemessen und dann eine Korrekturrechnung hin zum Mittelpunkt durchgeführt. Außerdem ändert sich der Abstand des Mondes zur Erde und damit auch seine scheinbare Größe täglich. Auch das musste in den nautischen Jahrbüchern vermerkt sein, um eine entsprechende Korrektur durchführen zu können. Am Ende der Messung und der zwei Korrekturen hatte man dann den Abstand eines Himmelskörpers (etwa des Sternes Regulus) zur Mitte der Mondscheibe. als Winkelabstand ↗
Die Korrektur der Parallaxe
Je nachdem wo man auf der Erdoberfläche steht, unterscheidet sich die gemessene Monddistanz um bis zu 1°, auch dann wenn die Messung zum exakt gleichen Zeitpunkt erfolgte. Der Grund dafür ist die sogenannte Parallaxe[26]. Diesen Einfluss kann man korrigieren, wenn man nun noch die Höhe des Mondes und des anderen Himmelskörpers über dem Horizont misst[27] und mit diesen Werten wieder feste Korrekturrechnungen durchführt. Siehe auch Elevation (Astronomie) ↗
Korrektur der Lichbrechung
Wenn das Licht des Mondes durch die Atmosphäre der Erde geht wird es in seiner Richtung oft abgelenkt. In der Optik spricht man von einer sogenannten Brechung des Lichts oder auch einer Refraktion. Auch dieser Einfluss kann mit Rechnungen korrigiert werden. Zum physikalischen Hintergrund siehe auch astronomische Refraktion ↗
Bestimmung des Längengrades
Nach all diesen Messungen und Korrekturen konnten die Navigatoren mit Hilfe der Jahrbücher die momentane Uhrzeit am Nullmeridian in Greenwich (London) bestimmen. Wenn sie dann noch die exakte astronomische Uhrzeit ihrer eigenen Position kannten, gab die Differenz die geographische Länge: für je eine Stunde Zeitdifferenz erhält man 15° Längenunterschied. Der übliche Messfehler konnte bis zu einer halben Bogenminute[28] betragen, was einer Minute Zeit entsprach. Das entsprach einem Messfehler von grob einem viertel Längengrad oder rund 28 Kilometern am Äquator. Siehe auch Längengrad ↗
Nachteile der Methode
- Für die Messungen musste das Schiff ausreichend still liegen oder man musste an Land sein.
- Bei Neumond ist der Mond unsichtbar und die Methode nicht anwendbar.
- Die Methode kann nur bei guter Sicht angewendet werden.
- Der mögliche Fehler ist mit 28 Kilometern am Äquator recht groß.
Wodurch wurde die Methode abgelöst?
Im Jahr stellte der schottische Uhrmacher John Harrison (1693 bis 1776) eine von ihm und seinem Sohn über Jahrzehnte entwickelte Uhr vor, die mit ausreichender Genauigkeit auch auf See die genaue Zeit von Greenwich angeben konnte[29]. Je zuverlässiger diese Uhren und ihre Nachfolger wurden, desto mehr verdrängten sie die Methode der Monddistanz. Um das Jahr 1900 wurde dann keine astronomischen Jahrbücher mehr gedruckt. Die Methode der Monddistanz war ganz dem Chronometer gewichen.
Wie werden Positionen heute bestimmt?
Heute fast allgegenwärtig ist die Positionsbestimmung mit Hilfe von Satelliten. Satelliten sind künstliche Himmelskörper in einer Umlaufbahn um die Erde. Kennt man ihre exakte Position und kennt man zusätzlich die Zeitdauer, die ein Funksignal vom Satelliten bis zum eigenen Standort unterwegs ist, kann man mit Hilfe mehrer Satelliten den eigenen Standort sehr schnell und sehr genau messen. Siehe auch Galileo (Satellitennavigation) ↗
Fußnoten
- [1] Monddistanzen, früher eine der wichtigsten Methoden zur Bestimmung der geographischen Länge des Beobachtungsorts auf Reifen; sowohl zur See als zu Land anwendbar (im Gegensatz zu einigen andern Mondmethoden, vgl. Längenbestimmung). Keine andre Aufgabe der praktischen sphärischen Astronomie hat eine so große Literatur hervorgerufen wie die Längenbestimmung aus Monddistanzen; diese Literatur beginnt schon weit früher, als in dem Hadleyschen Spiegelsextanten (1731) das Instrument zur Ausführung der für die Aufgabe notwendigen Messung (vgl. Längenbestimmung) vorhanden war; die Mayerschen Mondtafeln (1755) mußten ferner noch hinzukommen, um auch die Rechnung mit Aussicht auf Erfolg führen zu können, d.h. die Mondörter so genau angeben zu können, daß die geozentrischen Distanzen genügend (voraus-) berechnet werden konnten." Es folgt dann eine ausführliche Darlegung der Geschichte der Methode der Monddistanzen, verfasst von Ambronn. In: Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 6 Stuttgart, Leipzig 1908., S. 481. Online: http://www.zeno.org/nid/20006088546
– [3] Tables for correcting the apparent Distance of the Moon and a Star from the effects of Refraction and Parallax, Cambridge 1772; danach ist der Atlas von Margetts entworfen
- [4] Longitude Tables, London 1790, der graphisch ziemlich große Annäherung liefert.
- [5] Weyer: Kürzeste Berechnungsart der Monddistanzen, Annalen der Hydrographie 1881
- [6] Bessels Abhandlungen, herausg. von Engelmann, Bd. 3, Leipzig 1876, S. 434–452
- [7] Chauvenet: Manual of spherical and practical Astronomy, 5. Aufl., Philadelphia 1893, Bd. 1, S. 393–434 (strenge Methode S. 395–402, Chauvenets Näherungsmethode S. 402–420, mit den Zahlentafeln XI-XX).
- [8] Methode der direkten Rechnung einer wahren Monddistanz aus einer beobachteten, Sitzungsberichte der Akad. der Wissensch., Wien, Math.-Physik. Kl, 1885;
- [9] Wislicenus: Handbuch der geograph. Ortsbestimmungen, Leipzig 1891, S. 218–223 (Rechnungsmethode von Borda).
- [10] Runge: Zeitschr. für Vermessungswesen 1893, S. 417–423, betrifft die Anwendung der Photographie zur Beobachtung von Monddistanzen; vgl. a. Nature (London) 1893, Okt. 26, S. 623, und 1894, Mai 31, S. 102–103.
- [11] Koppe: Photogrammetrie und internationale Wolkenmessung, Braunschweig 1897
- [12] Bolte, Fr.: Die Methode der Chronometerkontrolle an Bord zum Zweck der Längenbestimmung, aus dem Arch. d. Deutsch. Seewarte, 17. Jahrg., 1894, Nr. 1.
- [13] Borgen, C.: Über die Berechnung von Monddistanzen mit Hilfe der Merkatorfunktionen, aus dem Arch. d. Deutsch. Seewarte, 26. Jahrg., 1903, Nr. 1.
- [14] Friedrich Bolte: Die Methoden der Chronometer-Kontrole an Bord zum Zweck der Längenbestimmung: nebst Tafeln zur Erleichterung der Reduktion, Hamburg 1894.
- [15] D. H. Sadler: Man is not lost. A record of two hundred years of astronomical navigation with „The Nautical Almanac“ 1767–1967, London 1968.
- [16] Eric G. Forbes: The Birth of Navigational Science, London 1974.
- [17] Peter Boy Andresen: Die Geschichte der Monddistanzen. Nachdr. der Ausg. Hamburg 1924, Marbach 1986.
- [18] Bernhard Weißbecker: Das Uhrwerk des Mondes: Tobias Mayer und der Längenpreis, Norderstedt 2012.
- [19] Die Methode der Monddistanz wurde unter anderem von dem Nürnberger Universalgelehrten Johannes Werner in seiner Übersetzung des ersten Buchs der Ptolemäischen Geographie (In hoc opere haec continentur Nova translatio primi libri geographiae Cl. Ptolomaei : quae quidem translatio verbum habet e verbo fideliter expressum, Nürnberg 1514) erwähnt, erlangte aber erst Beachtung, als Peter Apian sie in seinem Cosmographicus liber (Landshut 1524) genauer erörterte.
- [20] Gibt man die scheinbare Größe von Himmelskörpern als Winkel an, zum Beispiel die 0,5° für den Mond, so spricht man in der Astronomie von einem sogenannten Sehwinkel ↗
- [21] Der Nullmeridian ist der nullte Längengrad. Er geht vom Nordpol durch Greenwich im östlichen London an der Themse weiter bis zum Südpol. Kennt man die Uhrzeit am Nullmeridian sowie die eigene Uhrzeit an irgendeinem Ort auf der Erde, kann man daraus die geographische Länge berechnen: Jede Stunde Unterschied entsprechen 15°. Siehe auch Nullmeridian ↗
- [22] Während es für ein und dieselbe Mondposition verschiedene Zeiten geben kann (was nicht eindeutig ist), kann man aber für jeden Zeitpunkt eindeutig eine Mondposition angeben. Die eindeutige Zuordnung ist dann auch eine mathematische Funktion. Siehe auch Zuordnung ↗
- [23] Während die Bewegung von zwei Himmelskörper zueinander noch relativ einfach mit den Gesetzen von Newton zu berechnen ist, gilt das für drei Himmelskörper nicht mehr. Und für die nötige Genauigkeit der Mondangaben war es nötig den gegenseitigen Einfluss der Schwerkraft von Sonne, Mond und der Erde aufeinander berechnen zu können. Newton lieferte dazu wichtige Impulse, doch bis heute ist diese Rechnung noch ein Problem, das sogenannte Dreikörperproblem ↗
- [24] Für die Methode der Monddistanz interessant sind vor allem helle Sterne nahe an der Mondbahn auf der Ekliptik. Nahe an der Ekliptik liegen die zwölf Sternbilder des sogenannten Tierkreis[es] ↗
- [25] Klassische frühe Messgeräte für Winkelabstände am Himmel waren das Astrolabium, der Jakobsstab und der Pendelquadrant. Alle diese Geräte aber waren zu ungenau für die Methode der Monddistanz. Siehe beispielhaft Jakobsstab ↗
- [26] Man kann den Effekt leicht nachstellen: man betrachtet einen nahestenden Baum (der Mond) vor dem Hintergrund von weit entfernten Häusern oder einer Landschaft (der Sternenhimmel). Wenn man nun nur wenige Dezimeter schräg zum Baum geht, ändert dieser sofort seine scheinbare Position relativ zum Hintergrund. Siehe mehr unter Parallaxe ↗
- [27] Die Höhe eines Himmelskörpers über dem Horizont als Winkel kann man ebenfals mit einem Sextanten messen. Diese Winkelhöhe nennt man die Elevation (Astronomie) ↗
- [28] Eine Bogenminute ist der sechzigste Teil, das heißt ein Sechzigstel, eines Grades. Das ist extrem wenig und genau nur sehr schwer zu messen. Siehe auch Bogenminute ↗
- [29] Dava Sobel: Längengrad: Die wahre Geschichte eines einsamen Genies, welches das größte wissenschaftliche Problem seiner Zeit löste. NG Taschenbuchverlag. 2013. ISBN: 978-3-492-40530-0. Die Geschichte Harrisons ist die Geschichte großer Ausdauer und des Kampfes eines wissenschaftlichen Außenseiters gegen eine neidische und abwehrende Wissenschaftsgemeinde. Die Geschichte wurde auch verfilmt: Der Längengrad – Longitude (USA/GB, 2000) von Charles Sturridge, mit Jonathan Coy, Christopher Hodsol und Jeremy Irons.
- [30] Ein Schiffschronometer von John Harris aus dem Jahr 1759 soll auf einer Seereise von England nach Jamaika in der Karibik um nur 5 Sekunden falsch gegangen sein. Eines der Probleme, die Harrison gelöst hatte, war die Längenausdehnung von Metall bei Erwärmung (Wettereinfluss). Wird das Pendel oder der Balken einer Uhr bei wärmerem Wetter länger, dann geht die Uhr langsamer. Der physikalische Hintergrund ist der Längenausdehnungskoeffizient ↗
- [31] Dass der Kartograph Amerigo Vespuccis im Jahr 1499 in Venezuela die Methode der Monddistanz anwandte (wennauch mit großen Fehlern) steht in: Jürgen Teichmann: Wandel des Weltbildes. Astronomie, Physik und Meßtechnik in der Kulturgeschichte. Mit Beiträgen von Volker Bialas und Felix Schmeidler. Wissenschaftliche Buchgesellschaft. Darmstadt. 1983. Dort die Seite 174.