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Hexeneinmaleins


Goethe


Basiswissen


Der Dichter und Naturforscher Johann Wolfgang von Goethe (1749 bis 1832) lehnte eine stark mathematisierte Weltsicht zutiefst ab. Ein Gedicht - das Hexeneinmaleins - ist ein Spottvers auf eine Über-Mathematisierung von Weltsichten. Er widersetzte sich damit auch dem Geist seiner Zeit, die Welt ganz in Zahlen fassen zu wollen. Im Hexeneinmaleins führt der durchtriebene Quälgeist Mephisto den wissbegierigen Dr. Faust in eine Hexenküche, um dort einen Verjüngungstrank für ihn brauen zu lassen. Unter allerlei Spektakel deklamiert die Hexe aus einem dicken Buch folgenden Zauberspruch:

Originalgedicht


"Du mußt verstehn!
Aus Eins mach’ Zehn,
Und Zwei laß gehn,
Und Drei mach’ gleich,
So bist Du reich.
Verlier’ die Vier!
Aus Fünf und Sechs,
So sagt die Hex’,
Mach’ Sieben und Acht,
So ist’s vollbracht:
Und Neun ist Eins,
Und Zehn ist keins.
Das ist das Hexen-Einmal-Eins!"

Das Gedicht steht im Faust als Verse 2540 bis 2552). Faust sagt zu den für ihn seltsam klingenden Worten: "Mich dünkt, die Alte spricht im Fieber." (Vers 2553). Es folgt eine erläuternde Rede Mephistos, die an Faust gerichtet ist:

"Das ist noch lange nicht vorüber,
Ich kenn’ es wohl, so klingt das ganze Buch;
Ich habe manche Zeit damit verloren,
Denn ein vollkommner Widerspruch
Bleibt gleich geheimnisvoll für Kluge wie für Toren.
Mein Freund, die Kunst ist alt und neu.
Es war die Art zu allen Zeiten,
Durch Drei und Eins, und Eins und Drei
Irrtum statt Wahrheit zu verbreiten.
So schwätzt und lehrt man ungestört!
Wer will sich mit den Narr’n befassen?
Gewöhnlich glaubt der Mensch, wenn er nur Worte hört,
Es müsse sich dabei doch auch was denken lassen."
(Vers 2554 bis 2566)

Einordnung des Hexeneinmaleins in Goethes Weltsicht


Die Verse sind als Goethes Ablehnung eines rein mathematisch-messenden Naturverständnisses zu sehen. Goethe schrieb mehrfach, dass ihm seine naturwissenschaftlichen Arbeiten wichtiger seien als seine Dichtkunst. Goethe arbeitete unter anderem eine ausführliche Farbenlehre aus, betrieb umfangreiche Studien zur Geologie und Botanik. Und Goethe schrieb immer wieder, dass die Natur ihre Geheimnisse unmittelbar über das Sichtbare mitteile. Ein Mathematisieren, eine Annahme von unsichtbaren Dingen (z. b. unsichtbare Lichtstrahlen als Grundlage von Farbempfinden) war ihm fremd. Dagegen polemisierte er oft heftig, etwa in seinen Attacken gegen den schon lange wehrlos zuvor verstorbenen Physiker Newton (1642 bis 1727). Das Hexeneinmaleins ist als eine Zurückweisung eines mathematisierenden Naturverständnisses zu sehen. Seine eigene Weltsicht, die Mathematik zu einer bloßen Handwerkskunst machte, legte Goethe dar in Goethes Farbenlehre ↗

Fußnoten